Beschwerde-Management 2.0 - Teil 1
Professionell bearbeitete Beschwerden sind f?r Kunden ein guter Grund, wieder zu kaufen!
von Mag. Elisabeth St?llinger
F?r fast alle Unternehmen und Organisationen sind zufriedene Kunden das Ziel aller Bem?hungen und Voraussetzung f?r dauerhaften Erfolg. Werden viele Gesch?fte abgewickelt, liegt es in der Natur der Sache, dass Beschwerden auftreten k?nnen.
Im Arbeitsalltag ist das Thema "Beschwerde" allerdings oft sehr unbeliebt, so manche Beschwerde erleidet das Schicksal der ber?chtigten hei?en Kartoffel. Selten, dass ich in meiner Arbeit in den verschiedenen Unternehmen h?re: "Wow, super, eine Beschwerde!" Das h?rt sich meist ganz anders an.
Die F?higkeit, mit Beschwerden gekonnt umzugehen und daraus zu lernen, ist f?r Unternehmen ein wichtiger Erfolgsfaktor, sie will ge?bt und gelernt sein. Was alles zu einem erfolgreichen Beschwerdemanagement geh?rt und wo die H?rden liegen, dar?ber m?chte Ihnen der vorliegenden Artikelserie einen Einblick geben.
Wozu Beschwerdemanagement?
Das derzeit wohl popul?rste Beispiel, welch? unangenehme Auswirkungen ein unprofessionelles Beschwerdemanagement auf ein Unternehmen haben kann, ist die Geschichte von Dave Carroll, einem kanadischen Country-S?nger.
Sie k?nnen sich diese Story auf www.youtube.com unter "United breaks guitars" ansehen.
Was war passiert? Dave Carroll und seine Band flogen mit United Airlines von Chicago nach Nebraska. Schon im Flieger sitzend, sieht er, wie das Personal beim Gep?ck-Beladen seine Gitarre als Wurfgescho? verwendet und wie die M?nner das Instrument von einem zu anderen werfen. Und dabei offensichtlich eine Menge Spa? haben. Er wandte sich sofort an die Flugbegleiter mit der Bitte, dies zu stoppen. Doch diese f?hlten sich nicht zust?ndig, das sei Sache von denen da drau?en, meinten sie.
Was schlie?lich dazu f?hrte, dass die Gitarre brach. Nat?rlich beschwerte er sich dar?ber bei United Airlines. Doch s?mtliche Beschwerden blieben erfolglos, er wurde abgewimmelt, vertr?stet, umhergeschoben - fast so, wie seine Gitarre. Zu guter Letzt wurden seine berechtigten Forderungen nach Ersatz der Reparaturkosten abgelehnt.
Was tat Dave Caroll? Er komponierte einen Song mit all den Vorf?llen rund um seinen Flug und seine Gitarre, drehte ein Video mit seiner Band und stellte es auf Youtube. Die Auswirkungen sind f?r United alles andere als erfreulich:
Denn bis dato haben mehr als 10.600.000 Menschen das Video gesehen. Schon 4 Tage nach Ver?ffentlichung des Videos fielen die Aktien von United; daf?r stieg der Aktienkurs von Taylor Guitars, der Gitarren-Marke von Caroll! Genauere Zahlen, Daten und Fakten um "United breaks guitars" liefern mittlerweilen mehrere Videos und Kommentare auf Youtube.
Was kann uns dieses Beispiel sagen? Beschwerden zu negieren und so ungut abzuwimmeln, war noch nie klug, im Zeitalter des Web 2.0 ist es besonders ungeschickt. Nun gut, nicht jeder Beschwerdef?hrer kann einen erfolgreichen Song komponieren, jedoch sind f?r jedermann und jederfrau die M?glichkeiten, die eigene Unzufriedenheit zu kommunizieren, so vielf?ltig wie nie zuvor.
Dabei w?re es so einfach gewesen f?r United Airlines: Die Beschwerde ernstnehmen, der Sache korrekt nachgehen und dem Kunden eine passende L?sung anbieten ? damit h?tten sie voll gepunktet, im positiven Sinne nat?rlich.
Kluge Unternehmen erkennen die Bedeutung einer guten Beschwerdekultur und widmen dem Beschwerdemanagement die geb?hrende Aufmerksamkeit.
Unternehmen, die ihre Reklamationen und Beschwerden empirisch auswerten, best?tigen, dass gut bearbeitete Beschwerden viel dazu beitragen, dass die Kunden dem Unternehmen treu bleiben, sie also damit die Kundenloyalit?t positiv beeinflussen. Schwierigkeiten, die man gemeinsam gemeistert hat, schwei?en zusammen. Das kennen wir aus dem Privatleben, es gilt auch f?r die Gesch?ftswelt.
Nicht zu vergessen sind die wertvollen Informationen, die Unternehmen aus den R?ckmeldungen ihrer Kunden erhalten. Qualifiziertes Kunden-Feedback kann die Basis f?r Prozessoptimierungen liefern.
Was hei?t "professionell", wenn es um das Beschwerdemanagement geht?
Meiner Erfahrung nach sind es 3 Eckpfeiler, die das professionelle Beschwerdemanagement in einem Unternehmen ausmachen.
1.) Struktur & Strategie
Hat sich ein Unternehmer daf?r entschieden, dass der konstruktive Umgang und die L?sung von Beschwerden ein Teil seiner Gesch?ftsstrategie ist, so schafft er diesbez?gliche Standards: die Zust?ndigkeiten, Abl?ufe und Prozesse sind klar definiert - das erleichtert die Abwicklung; Feedback-Schleifen erm?glichen die laufende Verbesserung.
2.) Beschwerdekultur mit professioneller Einstellung
Die besten Strukturen und Prozesse n?tzen nichts, wenn diese nicht von der passenden Einstellung aller F?hrungskr?fte und aller Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen getragen werden.
Vorrangig ist damit die Einstellung "Danke f?r die Beschwerde" gemeint. Es ist n?mlich gut, wenn Kunden ihre Unzufriedenheit r?ckmelden, denn in diesem Falle hat das Unternehmen die M?glichkeit, die Sache wieder in Ordnung zu bringen.
Viel bl?der ist es, wenn die Kunden nichts sagen und einfach wo anders kaufen. Zahlreiche Kunden beschweren sich n?mlich nicht, kaufen daf?r aber bei einem anderen Lieferanten, einem anderen Gesch?ft oder H?ndler. Dazu kommt noch, dass sie bei ihren Freunden und Gesch?ftspartnern ?ber die Firma schimpfen (eine negative Mundpropaganda wird bis zu 22 x weitergesagt) ? und so gehen auch diese Leute noch als Kunden verloren!
Es ist also von Vorteil, wenn auch vielleicht im Moment nicht sehr angenehm, dass der Kunde seine Unzufriedenheit sagt und damit dem Unternehmen die M?glichkeit gibt, die Sache wieder in Ordnung zu bringen. Diese sinnvolle Grundeinstellung vergessen wir manchmal, wenn wir gerade mit einer Kundenbeschwerde konfrontiert sind.
Zur Einstellung geh?rt ein zweiter Faktor, n?mlich die Bereitschaft, professionell zu agieren anstatt den nat?rlichen Impulsen nachzugeben. Wenn jemand mit uns in sehr unangenehmer Form kommuniziert, sei es, dass wir ein ?u?erst unerfreuliches Mail lesen, wo sich jemand im Ton wirklich vergreift, oder dass jemand mit uns am Telefon schreit, was ist da unser erster Impuls?
Drei typische davon gibt es ? Flucht, Verteidigung oder Gegenangriff. Alle drei sind im Beschwerdefall absolut ungeeignet. F?r uns ist die L?sung interessant und die erreichen wir nur, wenn wir ?ber diesen Schatten springen k?nnen.
Daf?r gibt es selbstverst?ndlich sehr praxisnahe Trainingsma?nahmen, die die Unterst?tzung geben, dass einem das immer besser gelingt.
3.) L?sungsorientiertes Verhalten im konkreten Beschwerdefall
Das Ziel ist die korrekte L?sung f?r beide Seiten. Die L?sungen liegen nicht immer gleich auf der Hand, manche Beschwerdesituationen k?nnen sehr kompliziert, zun?chst unklar und emotional geladen sein.
Also ist die Anforderung an die Beschwerdebearbeitung, sich klug in Richtung L?sung "vorzuarbeiten". Dabei hilft zuerst einmal das Trennen von "WAS" & "WIE" der Beschwerde. Mit dem WAS ist die Sachebene mit dem ablauftechnischen Part gemeint und mit dem WIE die emotionale Ebene.
Die emotionale Komponente hat vor allem dann sehr viel Gewicht, wenn Kundenver?rgerung mit im Spiel ist, denn in diesen Situationen ist die Gefahr von "Empfindlichkeiten" enorm hoch. Es sollte all das vermieden werden, was dazu beitr?gt, die Empfindlichkeiten noch weiter anzuheizen.
Es ist wichtig zu wissen, dass die erste Antwort bzw. die erste Reaktion die Richtung bestimmt, wie sich der "Beschwerdefall" weiter entwickelt ? sie legt die Br?cke zum erfolgreichen Ausgang! Die Wahl, die Sie hier haben, liegt zwischen Zauberw?rtern und Reizw?rtern. Sie k?nnen entweder konstruktiv in Richtung L?sung unterwegs sein oder ? weniger empfehlenswert ? die Beschwerde mutiert zum Eskalationsfall.
Sowohl f?r die Beantwortung von E-Mails als auch f?r die gekonnte Entgegennahme einer Beschwerde am Telefon gibt es psychologisch geschickte und l?sungsfreundliche Strategien. Leider existiert auch das Gegenteil davon, wie wir schon aus unserem United-Beispiel wissen.
Hilfe, Kunde ist super ver?rgert!
Selbst hartgesottene Beschwerdeprofis k?nnen ein Lied davon singen, was es hei?t, wenn Kunden in ihrem ?rger so richtig hei? laufen und das auch noch lautstark kundtun. Hier gibt es eine ganz klare ratsame Abfolge: im ersten Schritt der Emotion zu ihrem Recht verhelfen, erst im zweiten Schritt die Sachebene angehen.
D. h., erst wenn sich der Kunde emotional beruhigt hat, macht es Sinn, zur Sache = L?sung zu kommen. Dabei ist die Regel "Die richtigen Worte zum exakt richtigen Zeitpunkt" im feinsten Sinne des Wortes einzusetzen. Warum? Die meisten Kunden sind in ihrer Ver?rgerung sehr empfindlich und brauchen unser besonders feinf?hliges einf?hlsames Entgegenkommen, um sich sachlich - gehirnm??ig - wieder einzukriegen.
Verwenden wir hingegen zu Beginn des Gespr?ches oder in einem ersten Antwortmail gewisse Reizw?rter, dann tun sich M?glichkeiten auf, in dicke Fettn?pfe zu treten.
Wenn wir es schaffen, auf der emotionalen Ebene eine Art Waffenstillstand herzustellen, k?nnen wir mit dem Kunden auf der sachlichen Ebene wieder ein geordnetes Gespr?ch f?hren bzw. eine zielf?hrende Mail-Korrespondenz aufbauen und gemeinsam an der L?sung arbeiten.
Solange der Kunde im ver?rgerten Zustand ist, ist er bzw. sein Neokortex tats?chlich nicht in der Lage, sachliche Vorschl?ge aufzunehmen und vern?nftig mit uns an der L?sung mitzuwirken.
Die gro?e Sorge:
"Die Beschwerde ist nicht berechtigt" oder "Der Kunde will sich was rausschlagen"
Die Sorge ist berechtigt, denn es kommt nat?rlich immer wieder vor, dass Beschwerden nicht zu Recht bestehen und dass Kunden ?berzogene Forderungen stellen. Auch kann sich im Laufe der Beschwerdebearbeitung herausstellen, dass das Ganze auf einem Missverst?ndnis beruht.
Bestehen Zweifel, ob die Beschwerde berechtigt ist oder nicht, gibt es eine klare und einfache Linie. Die sinngem??e Aussage "Wir gehen der Sache selbstverst?ndlich nach und k?mmern uns darum!" wirkt in zwei Richtungen:
- F?r den Kunden, der sich zu Recht beschwert, ist es das Versprechen, dass wir uns darum k?mmern.
- F?r die Beschwerden, die zu Unrecht bestehen, ist es das "Versprechen", dass wir uns alles genau anschauen (bevor wir konkrete Zusagen machen). Das hat zur Folge, dass wir im Zuge der n?heren Kl?rung ungerechtfertigte und unkorrekte Aspekte herausfinden. Unsere Stellungnahme dazu wird dann entsprechend aussehen.
Nat?rlich geh?rt zur Aussage von oben im Laufe des Gespr?ches oder Mails noch hinzugef?gt, wie der n?chste Schritt aussieht, wer sich in welcher Form bis zu welchem Zeitpunkt beim Kunden meldet etc.
Aus einem derartigen Statement ist keine Zusage herauszulesen, dass wir f?r etwas aufkommen, wof?r wir nicht verantwortlich sind! Das ist wichtig, denn viele ungeschickte erste Aussagen r?hren daher, dass die Verantwortlichen Angst haben, etwas zu versprechen, was sich im weiteren Verlaufe als Bumerang erweisen k?nnte.
Ist unser Informationsstand bei Vorbringen der Beschwerde sehr gering, m?ssen wir uns seri?serweise ein klares Bild von der Situation machen, um die konkret passende L?sung anbieten zu k?nnen. Es ist jedoch ?u?erst unklug, jedem Kunden von vorne herein zu unterstellen, er w?re unseri?s und seine Beschwerde bestehe (wahrscheinlich) nicht zu Recht! Sollte das einmal der Fall sein, k?nnen und m?ssen wir unsere Grenzen nat?rlich entsprechend abstecken.
Autorin des Artikels:
Mag. Elisabeth St?llinger, Wirtschaftspsychologin
Wirtschaftstrainerin, Senior Business Coach f?r Kundenorientierung, Teamentwicklung und Ver?nderungsprozesse
Mag. Elisabeth St?llinger ist eine der Beschwerdemanagement-Pionierinnen im deutschsprachigen Raum. Seit 1998 trainiert und coacht sie F?hrungskr?fte und Mitarbeiter/innen im professionellen Beschwerdeverhalten und ber?t Unternehmen, wie sie ihr Beschwerdemanagement am allerneuesten Stand halten. Besuchen Sie sie auf ihrer Website www.stoellinger.at.
Teil 2: Beschwerdemanagement 2.0: in 9 Schritten Beschwerden und Reklamationen professionell behandeln
Erschienen am 09.07.2011, um 17:19h.